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An Tagen wie diesen

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An Tagen wie diesen

Wer kennt sie nicht, diese Tage, die nie enden wollen, die voller Überaschungen und unvorhergesehen Dingen sind? Ich hatte heute so einen Tag, von dem ich einmal berichten möchte.

Nachdem ich mich, angetreiben vom Ehrgeiz, heute morgen dazu entschlossen habe, trotz Schneeregen und Windböen meine Mammutstrecke von 17 km zur Kita und Arbeit mit dem Rad zu absolvieren, hatte ich noch keine Ahnung, wie lange dieser Tag durch meine Entscheidung wird. Janniks Blick aus dem Fenster war sofort voller Freude, als er ein paar weiße Flocken sah, 10 Minuten später war die Freude weg, dafür aber Gemecker über den Gegenwind und den peitschenden Regen im Gesicht. Durch die zugekniffenen Augen fällt es mir schwer zu gucken und der mal wieder streikende Dynamo verbessert die Sicht auch nicht besonders. Jannik war abgeliefert und ich verdammt spät dran, also trat ich besonders in die Pedale, als ich ca auf Kilometer 12 der Gesamtstrecke jeden Stock und Stein unter mir spüre und ich dann realisiere, pitschpatsch nass, dass ich nen Platten habe, verdammte Axt. Ich versuche es zunächst mit Ignoranz und tue so als wäre noch genug Luft drauf, frei nach dem Motto, was wir nicht wissen, gibt es auch nicht. Als ich dann an dem Punkt der Aktzeptanz komme, werde ich wütend. Worüber? Am meisten über mich selber, darüber, dass grad Millionen kleiner Stresshormone in mir wuseln und mich mit Aufforderungen quasi bombardieren.

Wie soll man denn da einen klaren Gedanken fassen und Entscheidungen treffen? In 10 Minuten beginnt mein Dienst und selbst mit dem Auto würde es eng werden. Nachdem ich etwas in Selbstmitleid versinke, raffe ich mich auf, schiebe meinen Drahtesel nen knappen Kilometer im Dauerlauf zur Bushaltestelle, schnapp mir alle Dinge, die ich so in Körbchen und Sitz rumfliegen habe und steige mit meinen letzten Talern in den Bus, verrückt, dass ich wie abgezählt genau diese 2,10 Euro in den Händen halte. Ich freue mich sehr darüber jetzt im trockenen zu sitzen, aber die Freude wird schnell getrübt als mir klar wird, dass ich wieder nen guten Kilometer von der Haltestelle zur Arbeit muss…………hmpf……. Nützt nix, das Regencape bleibt gleich auf und ich trabe im Dressurschritt über Pfützen zur Arbeit und freue mich nen Keks, nur 20 Minuten Verspätung zu haben. Und trotz der Tatsache, dass ich zeitlich mit allem hinterher hänge und an Tagen wie diesen auch alle auf einmal abgefertigt werden wollen, schaffe ich den Arbeitstag erstaunlich gelassen, vielleicht auch, weil ich intuitiv weiß, meine Kräfte werden noch benötigt 😉

Feierabend, raus in den Sturm und los marschiert, nach Kilometer eins wird klar, das Warten auf den Bus ist unabdingbar und währenddessen hat sich meine Mutter bereit erklärt, Jannik aus der Kita abzuholen und ihn mir zu meinem Fahrrad zu bringen, von wo aus ich dann mit der Bahn nach Hause wollte, tja wollte, so war der Plan. Als ich im Bus sitze, realisiere ich, dass ich meine Arbeitsjacke noch an habe und mein Haus- und Fahrradschlüssel in meiner anderen Jacke ist…hmpf…das darf doch alles nicht wahr sein. Aussteigen bringt jetzt wenig, denn der Weg zurück und die Tatsache, dass dieser Bus im 20 Minutentakt fährt, würden wahrscheinlich dazu führen, dass ich heute nicht mehr ankomme. Wieder ist es meine Mutter, die in ihrem weißen Flitzer uns aus der Not befreit und mit mir den Schlüssel von der Arbeit holt, im Auto schläft Jannik ein und ich habe nicht übel Lust das selbe zu tun, aber nützt nix, ich will mein Rad zurück, also bleibt Jannik bei meiner Mutter, während ich den Bus nehme und zur Haltestelle fahre. Es ist eine sehr weise Entscheidung, meinen Drahtesel von diesen schrecklichen Ort zu befreien, an dem Betrunkene ihn geschunden habe, das Körbchen und der Kindersitz voll mit leeren Jägermeisterfläschchen und Bierpullen. Wer weiß, was ihm noch zugestoßen wäre. Optimistisch schiebe ich das Rad zur Bahn und wunder mich nur kurz über soviele Menschen, bis ich herausfinde, dass hier keine Bahn mehr fährt aufgrund des Sturms und der heruntergefallenen Äste und ich denke an die Worte meiner Mutter, die mir 30 Minuten vorher von 360 Minuten Verspätung im öffentlichen Nahverkehr erzählte…….hmpf….. Na gut, dann gehen wir halt eine Station zu Fuß, sind ja nur ca 2 km, das werde ich ja noch schaffen. Ich gehe durch die Kleingartenanlage, spüre peitschenden Regen im Gesicht, höre den tobenden Wind und knackende Äste und trotzdem ich dann auch noch mit dem Schuh im Matsch stecken bleibe, während mein Fuß weiter seinen Gang fortsetzt und ins Nasse patscht, bin ich froh hier zu sein und nicht in der stehengebliebenen Ubahn, an der ich vorbei spaziere, voll gestopft mit Menschen und Milliarden Stresshormonen. Puh, was hab ich für ein Glück da nicht drin zu sein und plötzlich ist der Regen und der Sturm und die Kälte und der nasse Fuß gar nicht mehr so schlimm, alles nur ne Frage der Einstellung 🙂 Angekommen an der nächsten Haltestelle zeigt sich mir ein ähnliches Bild wie zuvor, gestresste Menschen stehen oben und unten am Bahngleis, die Bushaltestellen voll belegt, fast jeder versucht von seinem Handy aus Hilfe zu rufen und es wirkt fast so als hätten wir den Ausnahmezustand, als bricht die ganze Welt zusammen. Ich kann die Stresshormone förmlich sehen, in jedem dieser vielen Gesichter ziehen sie ihre Kreise, ich entscheide mich dazu die restlichen 4 Kilometer auch  noch zu schieben, auch wenn meine Mutter dies nicht weiß, weil mal wieder mein Akku vom Handy alle ist. Diese Straße scheint nicht enden zu wollen, auf der Straße ein Feuerwehrfahrzeug mit einer Horde Feuwerwehrmänner mit Kettensägen in den Händen und heruntergefallenen Ästen, die Straße voll gesperrt und überall tönen Martinshörner, irgendwie gruselig. Der Mensch neigt ja immer dazu, alles unter Kontrolle haben zu wollen und da weht ein Windchen und die Gesetze des Alltags sind völlig außer Kraft gesetzt. Ich habe mich mit meinem Schicksal der schiebenden Radlerin im peitschenden Regen abgefunden, auch wenn ich gestehen muss, dass ich jeden Radler neidisch hinterherschaue und es nicht lassen kann, immer wieder für 2 oder 3 Meter aufzusteigen, nur um zu schauen, ob die Luft wieder drin ist. Ich habe die letzten geschätzten 2 Kilometer vor mir als sich ein Ast im Hinterreifen verklemmt und mir die alte rostige Kette runter reißt…….hmpf….. Ich brauche lange bis ich den Defekt wieder behoben habe und ich versuche die verloren gegangene Zeit nun durch schnelleres Tempo aufzuholen. Der Regen wird stärker, der Wind schmerzhafter und ich bin kurz vor Resignation, kann das Haus meiner Mutter schon sehen und doch fühle ich mich wie ein Stück Laub im Wind, hin und her gepustet, nass und zerissen. Wie ein begossener Pudel stehe ich vor der Haustür. Endlich!

Und nun, wo ich ein heißes Bad genommen habe und eingekuschelt auf dem Sofa sitze, denke ich mit einem Schmunzeln an diesen Tag zurück, betrachte mich selbst wie in einem Film und bin auch stolz auf mich, dass ich diesen IRONMAN Tag gemeistert habe, denn ich hatte alles heute, das Radeln, das Laufen und irgendwie auch das Schwimmen, sei es im Regen oder auch in dem Zeitdefizit. Ich denke an die vielen Gesichter, die Millionen Stresshormone, die wir uns täglich selber machen, weil wir nicht verstehen können, dass wir nix kontrollieren können, weil in uns alles zerfällt, wenn wir die Ordnung verlieren. Aber ist es nicht besser flexibel zu bleiben und sich dem zu stellen, was das Leben für uns bereit hält? Ist es nicht besser, wenn wir einfach nur tun, nicht denken, wenn wir die Hürden überwinden? Ich frage mich wie dieser Tag im Auto verlaufen wäre. Ich hätte warme und trockene Füße gehabt, keine roten Bäckchen vom Peitschen des Regens, ich würde jetzt schon schlafend im Bett liegen und träumen, würde vermutlich morgen kein Muskelkater kriegen, aber ich hätte auch genau diese Geschichte nicht erlebt und das war es mir wert, denn es erinnert mich daran wie wichtig es ist, das Leben so zu nehmen wie es kommt und dazu gehört auch mal ein peitschender Regen und ein platter Reifen.

Stephi
Alleinerziehend.Reisesüchtig.Freiheitsliebend.Alternativ.

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