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Attachment Parenting

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Oder warum wir für alles ein Wort brauchen

Attachment Parenting, was ist das überhaupt? Ein Wort der Neuzeit? Was hat das überhaupt mit Freiheit zu tun? Wikipedia sagt dazu, es ist die bindungsorientierte Erziehung von Kindern. Aber was bedeutet das nun in der Praxis? Und wer hat sich das ausgedacht? Warum brauchen wir überhaupt ein Wort für etwas, was wir schon seit Hunderten von Jahren praktizieren? Hast du dich schon mal auf den Spielplatz gestellt und die unterschiedlichsten Umgangsformen der Eltern mit ihren Kindern betrachtet? Ich möchte mit diesem Artikel meine Gedanken zu dem Thema mitteilen, bin keine Expertin, einfach nur Mutter.

Wie du bereits weißt, bin ich selbst alleinerziehende Mutter, das hat bei weitem nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile. Wie oft wurde ich mit Mitleid überschüttet von anderen Müttern, die glaubten ich sitze jeden Abend im Bett und weine, weil ich einsam bin. Ganz ehrlich, es ging und geht mir heute noch mit der Rolle als Alleinerziehende gut. Ich konnte von Anfang an eine sehr enge Bindung zu meinem Sohn aufbauen, habe ihn gefühlte 30 Stunden täglich getragen, bis zu seinem dritten Geburtstag gestillt, dadurch die Breikost komplett übersprungen, ihn stets seine eigenen Erfahrungen machen lassen, nie bedrängt etwas zu tun, was er nicht mag, ich nutze ein “nein” nur, wenn es wirklich wichtig ist, dann bleibt es aber dabei, ich hatte immer meine klaren Vorstellungen von dem, was ich nicht will, niemand hat meinen Er-/ Beziehungsstil in Frage gestellt und mein Sohn bekommt für alles seine für ihn notwendige Zeit. Was hat es also mit dem Wort Attachment Parenting auf sich?

Attachment Parenting oder warum ich mein Kind nicht verwöhne

Auf Kritik von außen hab ich oft gelassen reagiert. “Du verwöhnst dein Kind, der tanzt dir mal auf der Nase rum, der wird total anhänglich, was? Du stillst immer noch?” Ich kenne sie alle, die Vorurteile der Menschen, die einzig allein ihrem Wissen und Erfahrungsschatz trauen. Für mich ist die Freiheit das höchste Gut und das zieht sich wie ein roter Faden in meiner Beziehung zu meinem Sohn durch. Jeder Mensch soll tun und lassen können, was er möchte, solange er die Gefühle der anderen respektiert.

Ich selbst vertraue meinen eigenen Instinkten und ich behaupte, dass jede Mutter diese ureigenen Instinkte in sich hat und viel mehr darauf vertrauen sollte, statt sich von der Gesellschaft in eine Schiene pressen zu lassen.

Warum sollte ich denn bitte mein Kind nächtelang schreien lassen, bis es lernt alleine zu schlafen? Ob ihm das wohl in seinem Urvertrauen bestärkt?

Und warum soll ich ihm durch Verbote ständig meine Macht unter die Nase reiben? Damit er lernt, er darf keine eigenen Erfahrungen machen und seine Meinung zählt nicht?

Wenn ein Kind nun mit 20 den gleichen Willen hat wie mit drei, wäre jede Mutter wahnsinnig stolz darauf, also warum versuchen wir nicht einfach diesen Willen zu nutzen und unseren Kindern beizubringen, diesen für sich auf andere Art, als stampfend auf dem Boden umzusetzen, statt ihren Willen zu brechen.

Na klar, wir kennen sie alle, die Vorurteile der antiautoritären Erziehung, aber ich sag dir was, aus netten Eltern werden nette Kinder und aus gemeinen Eltern werden gemeine Kinder, denn wir leben unseren Kindern ein Sozialverhalten vor und je enger unsere Bindung zu ihnen ist, desto mehr werden sie von unserem Sozialverhalten und Umgangsformen imitieren.

Attachment Parenting oder doch nur Mutterliebe?

Nun hat also ein amerikanischer Professor dem Urverhalten einer jeden Mutter einen Namen gegeben und wir haben ein anderes Wort für Mutterliebe gefunden, Attachment Parenting! Es werden Millionen damit gescheffelt, Bücher, Seminare, Dokumentationen, Workshops und ganze Kongresswochenenden werden damit gefüllt und längst fühlt es sich für mich nicht mehr richtig an, ein Teil von dieser Schublade zu sein. Ich mag keine Schubladen, denn in meinen herrscht immer Chaos, man macht sie zu und keiner weiß, was sich tatsächlich drin verbirgt.

Ich habe nie gewusst, dass mein instinktiver Umgang mit meinem Sohn in die Schublade dieses Ausdrucks Attachment Parenting gehört und es ist mir auch nicht wichtig, jetzt mit dem Wissen Gleichgesinnte zu finden, die sich gegenseitig beratschlagen, welche Beziehungsmethode wohl die angemessenste wäre, denn tief in meinem Herzen weiß ich immer, was das richtige ist und das kann mir kein Buch und kein Workshop lehren. Wenn wir also mal die Bücher beiseite legen, Diskussionen über windelfrei und Babysprache lassen und stattdessen uns die Zeit nehmen unsere Kinder kennen zu lernen und mehr auf unser Herz zu hören, werden wir dann am Ende nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen?

Ein Interview über die Mutter-Kind-Bindung

Ich habe mich kürzlich mit einigen Müttern zu dem Thema unterhalten und möchte ein Gespräch hier veröffentlichen, weil es genau das Thema wieder spiegelt. Leider kann ich nicht alle Interviews in den einen Artikel niederschreiben, behalte diese aber in der Hinterhand.

Ziva M. begegnet mir als eine überaus liebevolle Mutter, die in ihrem Umgang mit der 8-Monate-alten Tochter absolut natürlich, instinktiv und authentisch ist. Ich habe ihr ein paar Fragen bezugnehmend auf ihre Mutter-Kind-Bindung gestellt und die Antworten spiegeln ihr Urvertrauen aber auch ihre Zweifel in ihren Mutterqualitäten wieder.

  1. Das erste Weinen deines Babys. Wie hast du es emotional in Erinnerung? Ich lasse es eigentlich nie soweit kommen, dass die kleine weinen muß, weil ich es gleich im Keim ersticke (Windel nass, Hunger oder müde) ABER was mir noch extrem in den Knochen sitzt, sind diese 3-Monatskoliken bzw ein Geburtstrauma vom Kaiserschnitt, dass die Osteopathin nach 2 Terminen in den Griff bekommen hat. Also, das war schrecklich! Jede Nacht über einige Wochen hat die Kleine zwischen 22 und 23 Uhr zu weinen begonnen und nach fast exakt 3 Stunden wieder aufgehört, ich war total fertig. Ich hab sie herumgetragen, getröstet, gestillt, massiert, Bauch eingerieben, Fliegergriff und das alles mit grausamen Rückenschmerzen (anscheinend von der Pda), Max 5 Stunden Schlaf pro Tag auf Etappen und einer Kaiserschnittnarbe die noch ziemlich lange weh getan hat. Und ich hatte jeden Tag Angst vor der Nacht, vor dem alleine sein. Ich hab jede Nacht geweint und dachte, ich bin eine schlechte Mutter, die nicht in der Lage ist, ihr Kind zu beruhigen. 
  2. Getragen oder geschoben? Was ziehst du vor und warum tust du es? Ich mache beides, weil ich es so praktisch wie möglich mit meinem Kind haben möchte. Ich habe eine Manduca, eine Fräulein hübsch und ein elastisches Tragetuch und eines aus Leinen. Einen Kinderwagen und einen Reisebuggy. Ich habe extrem viel Körperkontakt mit meinem Kind und lehne weder das eine noch das andere ab. Ich glaube aber, dass Körperkontakt zum Aufbau des Urvertrauens gut ist und deshalb mach ich es auch.
  3. Womit glaubst du zeigt dein Baby dir seine Liebe und wie erwiderst du es? Sobald mich meine Kleine sieht, lächelt sie mich an. Wenn sie mit Ihrem Spielzeug spielt und total vertieft ist und ich sie rufe sieht sie mich an und lächelt. Und sie ist so relaxed und freundlich. Ich weiß einfach, dass wir ein tolles Team sind. Ich liebe sie und sie mich. Ich erwidere es, indem ich ihr all meine Liebe gebe. Sie hat meine volle Aufmerksamkeit und ich sehe mein Kind als Teil von mir und versuche ihr eine gute Mutter zu sein und sie gut vorzubereiten,was aktuell  heißt, dass ich ihr behilflich bin Urvertrauen aufzubauen
  4. Wenn dein Baby jetzt schon sprechen könnte, was würde es wohl als besonders frei definieren? Freiheit heißt, dass meine Mama immer da ist wenn ich die Welt entdecke, ich etwas sehe und ihr zeigen kann, wenn ich etwas lerne, aber noch nicht so gut bin darin und mir weh tue und sie da ist und wieder alles gut macht und heil pustet. Wenn wir gemeinsam alles machen können aber nicht müssen. 
  5. Hast du schon mal was von Attachment Parenting gehört? Nein,davon habe ich noch nie zuvor etwas gehört. Das Witzige daran ist, dass ich, nachdem ich den Hintergrund jetzt kenne, mich bei 95% wieder finde und ich diesen Stil lebe und total überzeugt bin davon. Es gibt wohl für jeden Lebensstil einen Fachbegriff.

Du siehst also, instinktives Verhalten braucht weder Bücher noch Lehrmethoden. Manchmal bringt es uns weiter, wenn wir die Augen verschließen, die Ohren zuhalten und nur auf unser Herz hören.

Wie stehst du Attachment Parenting? Hast du überhaupt schon von gehört? Hinterlasse gern einen Kommentar und schreibe deine ganz eigene Definition von Attachment Parenting nieder.

 

 

Stephi
Alleinerziehend.Reisesüchtig.Freiheitsliebend.Alternativ.

8 Comments

  1. Ein wirklich sehr gelungener Artikel, der genau unseren Zeitgeist trifft. Wieso ist das bloß so, dass wir immer alles benennen wollen und uns dann am Ende damit riesig fühlen?
    Ich sag immer wieder backto the roots!
    Liebe Grüße Tanja

  2. Hallo Steffi,
    ich sehe es genau so wie du und die Leute,die alles besser wissen, gehen mir gehörig auf den Geist. Jeder soll einfach leben , wie es ihm gefällt.
    Lieben Gruß Vanessa

  3. Dass wir auf unser Herz hören sollten und Dinge nicht besser werden, wenn man ihnen ein Label ausdrückt.
    Es gibt diese Frauen, die sich ihrer Sache sicher sind. Die ihrem Bauchgefühl trauen und sich von Kritikern nicht aus dem Konzept bringen lassen. Aber es gibt eben auch sehr viele, die unsicher sind. Schier erschlagen von zahlreichen (ungebetenen) Ratschlägen, die sich nicht selten widersprechen. Da hilft es, eine Community zu haben. Forschungsergebnisse, die einem sagen “Dein Bauchgefühl ist genau richtig”.
    Ich wollte immer ein Familienbett. Die ganzen Warnungen, dass das das Risiko von SIDS erhöhe, haben mich in der Schwangerschaft extrem verunsichert. Wenn es da keine Bücher und Gruppen gegeben hätte, die mir das Gefühl gegeben haben, dass es völlig Ok ist, das Baby mit ins Bett zu nehmen und ich damit alles andere als verantwortungslos handele, dann hätte mein Sohn im Beistellbett schlafen müssen, statt In meinen Armen.

    Wer Attachment Parenting nicht braucht, wunderbar. Aber ich bin überzeugt, dass es anderen sehr hilfreich sein kann.

  4. Gemeine Eltern machen gemeine Kinder… haha! Das impliziert eine etwas strengere Erziehung ist gemein!? Auch mal eine Grenze setzen ist gemein? Ich lach mich tot! Wie soll denn ein Kind in der Welt zurechtkommen, das nicht versteht, was es darf und was nicht!? Das immer seinen Willen durchsetzten darf? Das in Watte gebettet wird? Meiner Meinung nach tut man ihnen damit wirklich keinen Gefallen. Das ist doch komplett realitätsfern. Mein Sohn erfährt Erziehung mit viel Liebe und klaren Regeln – das eine schließt das andere nicht aus 😉

    Julia

    1. Liebe Julia,
      die Definition dieses Satzes liegt im Vorleben. Wenn die Eltern “gemein” sind und damit meine ich keinesfalls in “Erziehungsfragen” sondern eher im Umgang mit anderen Menschen und der Umwelt, dann kopieren die Kinder oft unbewusst das Verhalten. Wir Erwachsenen leben Grenzen und Verhaltensregeln vor sowie einen sozialen Umgang. Ich packe mein Kind weder in Watte noch setzt er alles durch weil er lernt, dass jedes handeln Konsequenzen hat und das auch ohne eine Erziehung im klassischen Sinne.

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