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Was bedeutet eigentlich autark leben?

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Ein Interview mit Robin S.

Ich habe kürzlich einen jungen Studenten getroffen, der das Experiment “autark leben” für 2 Jahre erlebt hat. Natürlich habe ich mich nicht lumpen lassen und ihn sofort mit fünf Fragen konfrontiert.

Robin ist ein 22 jähriger Student, der mit 18 eine Entscheidung gegen das Leben als Durchschnittsbürger traf und sich auf in ein Abenteuer nach Portugal machte. Auf dem alten Grundstück seiner Großeltern führte er zwei Jahre lang ein autarkes Leben, lebte vom Obstbaumbestand, baute sich Solarzelle und Windrad für eigene Ressourcen und versorgte sich selbst oder lebte von Tauschgeschäften mit fast keinem Geld. Wie es ihm dabei ergang und warum er jetzt zurück kam, erzählt er mir in diesem Interview.

Was bedeutet eigentlich autark leben?

  • 1. Welches war der Moment, in dem du dich entschieden hast, einen anderen Weg zu gehen? Ich würde nicht sagen, dass ich einen anderen Weg gehe, denn jeder Mensch geht seinen eigenen Weg. Die Frage stellt voraus, dass wir, jeder Mensch auf der Welt, durch die Gesellschaft in eine Rolle gezwängt werden und das ist, wie ich empfinde, eher nicht der Fall, da sich gerade in der heutigen, sehr liberalen Gesellschaft, doch alles ausleben kann und darf, wie es nun möchte. Ob Homosexualität, ökologisches Leben oder der pure Kapitalismus, der auch für den Reichtum der Gesellschaft heute zuständig ist (bspw. die Errungenschaften, die wir haben – Flugzeug, Handy, Medizin und und und, weiter gedacht dann Facebook, über welches wir in Kontakt treten) – jeder darf dort hin gehen, wo er möchte, so habe ich zumindest empfunden und deshalb habe ich mich dazu entschieden nach Portugal zu gehen. Es gab da keinen Zeitpunkt, der sagte “Wow, nun musst du die Welt ändern!”, viel mehr war es einfach das Gefühl für mich selbst, welches mir sagte: Versuch was, kannst nur auf die Nase fallen, kann sehr spannend sein und im Endeffekt lernst du viel über die Welt kennen – allein meine handwerklichen Erfahrungen sind natürlich nun deutlich besser als vorher und das hat Vorteile.
  • 2. Wie hat dein Umfeld reagiert und hat es deine Entscheidung beeinflusst? Hier muss man vielleicht etwas früher ansetzen: Meine Großeltern kommen aus einer Zeit, in der sie Autos und Strom zwar kannten, aber in Portugal war dies nur in großen Städten vorhanden – sie wuchsen demnach so auf, wie heute viele Aussteiger. Einerseits sagten sie “Du bist verrückt”, aber auf der anderen Seite “Warum nicht? Wir sind ohne fließend Wasser und Strom ausgekommen und du wirst das ja sogar noch haben, demnach geht es dir dreimal besser, als uns damals!” – ein großer Punkt war auch: Das Haus und das Grundstück selbst. Beide Dinge waren zwar in Schuss, aber leider nicht am Optimum, sa dass die Idee zur Solarzelle und dem Windrad entsand. Heute ist es für uns auch positiv zu sehen, da der Strom in das portugiesische Netz eingespeist wird und wir dadurch Gewinne erzielen (wir produzieren mit dem Strom rund 20.000kwh im Jahr, also knapp 4 Haushalte könnten davon leben). Kurz um: Die meisten sagten “Okay, bist du dir sicher?” und waren dann überrascht, wie gut es funktionierte oder aber sagten, dass sie es gut finden, dass so etwas geht, sie aber grundsätzlich nicht gern so leben möchten, da sie lieber einkaufen gehen, als ein Feld zu bestellen – Bequemlichkeit ist eben des Menschen größter Feind.
  • 3.Was hast du am meisten vermisst und worauf konntest du gar nicht verzichten? Da ich ja einige Dinge selbst produziert habe, wie Marmelade (gesüßt mit Honig), hatte ich ja, mehr oder minder, meine eigenen Süßigkeiten, das war natürlich praktisch. Diesen Honig allerdings habe ich mir bei einem Onkel besorgt, der im Zuge dessen immer mal Käse oder Marmelade bekam – ein kleines Tauschgeschäft in der Familie, zumal ich so viel Marmelade und Käse gar nicht selbst essen konnte. Grundsätzlich fehlte aber nichts. Da ich aber über die Zeit gemerkt habe, dass die Hühner an Legeleistung verloren und ich natürlich einen Hahn hatte, hab ich mich dazu entschieden, ab und an doch mal ein Huhn zu schlachten (immer das älteste Huhn), welches dann gegen ein jüngeres ausgetauscht wurde, welches aus eigener Aufzucht kam, wenn man so sagen möchte. Habe ich bspw. einen Hahn bekommen, anstelle eines Huhnes, durfte dieser auch bei mir aufwachsen und wurde dann an ein Familienmitglied abgegeben, diese haben ihn dann meistens geschlachtet. Natürlich hat mir mein Fleisch ab und an gefehlt, ebenso auch banales Zeug wie Kosmetik, aber das kann man sich natürlich kaufen, wenn man es denn braucht. Persönlich habe ich bestimmt in der ganzen Zeit (auch weil ich dort nackt rumlief) knapp 10 bis 15 Sonnencremtuben verbraucht. Worauf ich im Übrigen wirklich nicht verzichten konnte: Strom und fließend Wasser, vor allem warmes Wasser, welches ich durch meine Solarzellen und Windrad natürlich hatte – in der Nacht im Dunkeln sitzen ist eben doof. Nicht gefehlt hat mir übrigens ein Kühlschrank, obwohl es praktisch gewesen wäre. Wichtig wäre eine Waschmaschine gewesen und auch wenn es banal klingt: Kleidung nimmt extrem viel Zeit in Anspruch – eine Stunde Wäsche waschen oder doch mal ausruhen? Ich habe mich gegen die Waschmaschine und für’s Ausruhen entschieden, indem ich einfach auf die Kleidung weitesgehend verzichtete.
  • 4. Was hat dich zum Umkehren gebracht? Die Isolation! Zwar haben mich Leute besucht, die Familie wohnt ebenfalls nur zehn Minuten mit dem Fahrrad weg, aber wenn du den ganzen Tag mit etwas auf’m Feld beschäftigt bist, den Tieren oder oder oder – es ist einsam. Sollte ich aber nach dem Studium wieder Lust haben und vor allem auch Leute finden, die dazu bereit wären, würde ich gern wieder hin, nur eben nicht alleine, nicht mehr für so lange.
  • 5. Reflektiert betrachtet, wie siehst du heute unsere Gesellschaftsform und was hast du aus deiner Wildniserfahrung mitgenommen? Genauso wie vorher! Die Welt ist so verstört in ihren Ansichten, bzw. die Gesellschaft, wie schon immer gedacht. Es gibt politisch gerichtete Grabenkämpfe, von links nach rechts und zurück, anstelle wirklich an den Problemen der Zeit zu arbeiten. Heute fällt mir nur noch mehr auf, dass viel mehr gegendert wird und anstelle “Die Professoren” heißt es nun “Die Professor/innen” oder “Professor*innen” oder “ProfessorX” – da frage ich mich, ob wir das in der Gesellschaft doch brauchen, denn wenn täglich auf’m Mittelmeer Menschen sterben, ist denen auch nicht geholfen, wenn man am Ende des Tages im Gesetz endlich stehen hat, dass man bei der Grabrede sagen soll: “Die Opfer und Opferinnen bla bla bla” – tot ist leider tot und somit sollten wir mal über den Schatten springen und nicht in diesen kleinkarierten Mustern denken, sondern viel mehr gemeinsam arbeiten.
Stephi
Alleinerziehend.Reisesüchtig.Freiheitsliebend.Alternativ.

4 Comments

  1. 2 Jahre nackig…wie fühlt man sich dann wieder Kleidung anzuziehen? Bestimmt wie in nem Ganzkörperkondom 😀 Geile Erfahrung bestimmt.

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